Das Streben nach „stabilem Wissen“

Der Grazer Internet-Pionier, Informatiker und Mitbegründer des Austria-Forum Hermann Maurer über allgemein Wissenswertes, Zeitreisen und die Weisheit der Vielen.

Univ.-Prof. Dr.Dr. h.c. mult. Hermann Maurer, MAE / c Austria-Forum

Univ.-Prof. Dr.Dr. h.c. mult. Hermann Maurer, MAE / c Austria-Forum


Bitte erklären Sie das Austria-Forum in drei Sätzen.

Hermann Maurer: Das Austria-Forum ist eine umfassende Sammlung von Wissen mit Schwerpunkt Österreich. Ziel ist es, Informationen in zitierbarer Form zur Verfügung zu stellen, das heißt zeitlich stabil und mit nachweisbarer Quelle. Das Austria-Forum ist ein Projekt in Arbeit: Ein erstes Niveau soll Ende 2014 erreicht werden, ganz fertig wird und kann es nie werden.

Das Austria-Forum will für ÖsterreicherInnen relevantes “Allgemeinwissen” abbilden. Was ist denn überhaupt “allgemein” wissenswert?

Maurer: Man spricht immer wieder von „Allgemeinbildung“. Dabei ist diese so umfangreich, dass niemand in allen Bereichen genug wissen kann. Das Austria-Forum soll auf einer allgemein verständlichen Ebene alles anbieten, das für Österreicher interessant ist: auch über die Grenzen von Österreich und Sprachen hinaus. Einen Vollständigkeitsanspruch hat das Austria-Forum nicht, aber den Anspruch, über Bücher (Web Books) auch „Zeitreisen“ zu erlauben und einige Aspekte sehr detailliert zu erläutern.

Im Austria-Forum werden Beiträge von Experten erstellt bzw. verifiziert und können – anders als auf Wikipedia – danach nicht mehr geändert werden. Sind Experten “intelligenter” als “der Schwarm”? Finden sich nicht auch unter Wikipedia-Editoren “Experten”?

Maurer: Die „Weisheit der Vielen“ ist beachtlich, aber dann schreibt auch Andrew Keen über den „Cult of the Amateur“. Die Qualität oft gelesener Wikipedia Einträge ist recht gut. Sicher gibt es auch sehr gute Experten bei der Wikipedia. Nur ist die Wikipedia unzitierbar und damit unzuverlässig, weil sich Beiträge ändern (man kann sich allerdings auf eine bestimmte Version festlegen), vor allem steht aber hinter jedem Artikel ein meist anonymes Autorenteam.

Ich halte das für einen ganz großen Fehler. Wenn jeder Beitrag einen verantwortlichen Autor hätte, der in seinem Lebenslauf ausweist, dass er für gewisse Gebiete qualifiziert ist und nur über diese schreibt, wäre das ein enormer Gewinn. Dass alles unter Creative Commons läuft, ist auch ein Fehler: Damit kann man manche Quellen, die auf Einnahmen angewiesen sind, nicht verwenden bzw. zerstört sie, genau wie das Andrew Keen sagt.

Ist es angesichts der aktuellen “Informationsexplosion” nicht ein nachgerade unmögliches Unterfangen – zu versuchen, “alles” alte und neue Wissen zu verifizieren?

Maurer: Jein. Ein Trick ist es natürlich, bestehendes Wissen nicht neu zu schreiben, sondern es höchstens zu verifizieren. Ich sage „höchstens“: Denn wenn ich ein Buch eines bekannten Autors eins zu eins verwende brauche ich den Inhalt nicht mehr verifizieren: Ich wälze meine Verantwortung auf Verlag und Autoren ab. Ähnliches gilt für Archive und Museumsbestände.

Was erwartet sich das Austria-Forum, das ja Projektpartner ist, vom “Blogmobil”?

Maurer: Viele interessante Beiträge für das Austria-Forum, sowie uns das Heimatlexikon mit ServusTV einige beschert hat. Und zwar Beiträge – auch neues gescanntes aber eben als Buch schon verifiziertes Material –, die man sonst nie in einem Lexikon finden würde: die Verknüpfung von damals und heute, von Kultur und Technik, von Sammler zum Fan, von altem Wissen in neuer Form. Ja, und dann würde ich lügen, wenn ich nicht auch hoffen würde, dass das Austria-Forum damit noch bekannter wird!

Ein Prognose: das Austria Forum in 20 Jahren?

Maurer: Wenn meine Nachfolger funktionieren, wird das Austria-Forum in 20 Jahren einer der am leichtesten zugängigen Wissensspeicher Österreichs sein, und viele Nachahmer gefunden haben. Dass Server mit regionalem Schwerpunkt Charme haben, zeigt das Serbia-Forum als erster Nachahmer. Und ich weiß, dass weitere folgen werden.

>>> Weitere Details zu Grundsätzen und Zielen des Austria-Forum

Das Blogmobil

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High-Tech im Steyr-Oldtimer: Altes und neues Wissen mit neuesten Technologien zu verbinden steht im Mittelpunkt des vom Zukunftsfonds geförderten Projekts “Connect”. Auf seiner Wissensreise durch die Steiermark im September und Oktober wird das Blogmobil in Straden, Kapfenberg, St. Lambrecht und Bad Aussee Station machen.

Kapfenberg: Eine runde Geschichte

Derzeit ruht der Ball im Franz-Fekete-Stadion in Kapfenberg. Erst in zwei Wochen werden die Fußballer des KSV hier wieder um Punkte in der zweithöchsten Spielklasse kämpfen. Ebenso wie der KSV besitzt auch das Stadion selbst eine lange und abwechslungsreiche Geschichte, dient es dem Verein doch bereits seit 1950 als Heimstätte.

Nun ist es an der Zeit, einen Teil dieser Geschichte auch digital aufzubereiten. Aus diesem Grund wird das Blogmobil von 19. bis 21. September in Kapfenberg haltmachen und dabei auch gleich einen Blick auf die Industriegeschichte der „Böhler-Stadt“ werfen. Fußball und Böhler haben vor allem bis in die 60er Jahre viel miteinander zu tun gehabt.

Im KSV-Büro im Franz-Fekete-Stadion erfolgte nun im Rahmen eines Recherchegesprächs mit Ingrid Sekljic vom KSV und Markus Motschnik von der Stadtgemeinde der Ankick zum Projekt „Connect“. Sekljic hat als KSV-Sekretärin schon vor einiger Zeit damit begonnen, alte Aufstellungen und Kaderlisten zu sammeln. Spätestens 2019, dann begeht der Verein sein 100-Jahr-Jubiläum, soll die Geschichte des KSV vollständig aufgearbeitet sein. Auf dem Weg dorthin werden wir den Verein in den kommenden Wochen tatkräftig unterstützen und tiefer in die Geschichte des SV Kapfenberg eintauchen.

Eine wichtige Rolle werden dabei die ehemaligen Staatsliga-Spieler einnehmen. Rund um das Heimspiel des KSV am 20. September gegen St. Pölten werden wir mit ihnen über ihre sportlichen und beruflichen Erfahrungen in den 1950er und 1960er Jahren sprechen. Damals erlebte der KSV als Mitglied der höchsten Spielklasse seine bis heute unerreichte Blütezeit. Neben den Schilderungen gilt unser Augenmerk auch alten Dokumenten und noch erhaltenen Filmen. Einen Teil der Rechechen werden wir am 20. September der Öffentlichkeit präsentieren, wenn das Blogmobil direkt vor dem Fekete-Stadion Station macht. Zwischen Geschichte und Gegenwart liegt dann maximal ein Einwurf.

Auf nach Straden!

An einem durchschnittlichen Dienstag geht es in Straden eher gemächlich zu. Nicht einmal die feine, nach dem ersten Pfarrer von Straden, Henricus de Merin (12. Jh.), benannte Greißlerei De Merin hat da auf, gerade einmal die Pizzeria “Tret´n vull” macht ihrem Namen einigermaßen Ehre. Vielleicht ist´s einfach zu heiß?

Blick auf Straden

Aber als kulinarische Tour war die Exkursion nach Straden ohnehin nicht geplant, sondern als Vorbereitung für den Besuch des Blogmobils Anfang September. Am Programm stand – nach einem Kurzbesuch bei der stattlichen Stradener Zeder, die vor 250 Jahren vor der Pfarrkirche St. Maria am Himmelsberg gepflanzt wurde (während der “ersten Zedernwelle” in Österreich, wie ein Schild erklärt) – ein Recherchegespräch mit der Stradener Historikerin und Dorfchronistin Christa Schillinger. Sie hat wie keine andere die Geschichte des südoststeirischen 1500-Einwohner-Dorfes und dessen Umgebung erforscht und darüber publiziert. Zum Beispiel hat Schillinger 1999 die 496 Seiten starke Dorfchronik des Ortes herausgegeben, aktuell versucht sie, die Liste alle Pfarrer zu recherchieren, die einst von Straden aus in die Welt gezogen sind. Heute werden ja nicht mehr gar so viele geweiht. Schillinger weiß übrigens auch sonst alles – über die ausgesiedelten Sloweniendeutschen von Abstall, die sich in der Gegend niederließen, die wachen II. Weltkriegserinnerungen im Dorf oder den Pflanzer der Stradener Zeder, Georg Cedermann, der hier von 1759 bis 1783 als Pfarrer wirkte.

Dienstag Nachmittag ist hier nicht viel losDie 250 Jahre alte Zeder

Nicht weniger kurzweilig: ein Gespräch mitWolfgang Seidl,Mitbegründer von straden aktiv und der Stradener Straßenspektakel, die – wären sie nicht im Vorjahr aus finanziellen Gründen zu Grabe getragen worden – heuer 30. Geburtstag gefeiert hätten. Traurig! Umweht vom Wollschweinselchduft der Fleischerei Scharfy lauschen wir im Schatten Seidls Erzählungen, wie das damals war, als ein Gruppe von Uni-Absolventen beschloss, im Heimatdorf für etwas mehr Leben zu sorgen, und schließlich 1980 in der ehemaligen Backstube des Jägerwirts Schadl ein Lokal einrichtete und das w.w. Kabinett gründete. Der Rest ist Geschichte – leider eine online derzeit nur eingeschränkt zugängliche. Kann ja noch werden!

Höflichkeitsbesuch beim Neumeister. Feierabend.

2013-07-09 16.47.24

Handschriften

Historische Wissensobjekten, meist gescannte Bücher, und “digital born” Informationselemente im Austria-Forum und der Wikipedia werden mit Blogbeiträgen und gesammelten, persönlichen Erinnerungen verknüpft

Vor der Reise

Während der vier Wochen dauernden Reise, wird ein junges Forscherteam – bestehend aus Studierenden der Grazer Karl-Franzens-Uni, der Technischen Universität und der Fachhochschule JOANNEUM – mit dem Blogmobil in Straden, Kapfenberg, Bad Aussee und St. Lambrecht Station machen, dort jeweils kostbares „altes Wissen“ in Form digitalisierter, historischer Wissensobjekte, Schriften und Artefakte öffentlich präsentieren und exemplarisch um neue Wissensschichten, Geschichten und Erinnerungen erweitern. Zu diesem Zweck ist das Blogmobil auch mit allen erdenklichen technischen Finessen ausgerüstet – darunter ein „Traveller“, ein vom Digitalisierungszentrum der Grazer Uni-Bibliothek entwickelter mobiler Digitalisierungstisch, der vor Ort wertvolle lokale Geschichte(n) sammeln wird.